Denkwürdiger Abend
Würde ich jemals meine Memoiren schreiben (was gänzlich ausgeschlossen ist), dann wäre jener Abend garantiert mit drin: Vergangene Woche waren wir in Tübingen gerade dabei, die nächste Bundestags-Kandidatin für unseren Wahlkreis zu wählen – als in Berlin zeitgleich mit viel Getöse die Ampel-Koalition zerbrach.
Eine eigentlich surreale Gleichzeitigkeit. Es war kurz vor unserer Abstimmung, an einem für uns Tübinger Grüne wichtigen Abend. Wer wird auf Chris Kühn folgen? Für wen machen wir im Hebst 2025 dann Wahlkampf? Der Saal war ziemlich voll, auf dem Podium saßen die beiden Bewerberinnen, vertieft in eine Frage-Runde. Ich war Moderator des Abends und hatte gerade Pause. Plötzlich wurde es im Saal unruhig und auf meinem Handy auch. News aus Berlin elektrisierten zügig viele Anwesende – manche tuschelten, andere gingen raus zum Telefonieren. Wer es als letztes mitbekam, waren die beiden Bewerberinnen.
Am Ende des Abends war auch klar: Die Vorzeichen haben sich geändert. Die Wahlen sind früher, als wir noch bei der Begrüßung gedacht hatten. Es wird ein deutlich kürzerer, intensiverer Wahlkampf. Auf unsere Kandidatin und auch auf alle, die sie unterwegs unterstützen, kommen richtig knackige und intensive Monate zu.
Das war eine Erleichterung, dieses Ende der Ampel. Sie hat zuletzt einfach nicht mehr funktioniert. Aber ich mache mir auch Sorgen. Als Parlamentarischer Geschäftsführer der Landtagsfraktion kenne ich mich aus mit Zusammenhängen und Abläufen. Gar nicht gut ist, dass in Berlin nun kein Haushalt mehr beschlossen wurde. Das wird erhebliche Konsequenzen haben, an vielen Stellen im Land. Überall braucht man Geld aus Berlin. Überall fehlt Planungssicherheit. Überall laufen Förderungen aus, ohne dass klar wäre, was danach kommt. Das betrifft Länder und Kommunen, Privatleute und Vereine, Wirtschaft und Wissenschaft. Was diese Fragen angeht, haben wir nun eine lange Durststrecke vor uns. Ich vermute, es wird vor der Wahl keinen neuen Haushalt mehr geben. Und danach wird eine neue Regierung nochmal Zeit brauchen, um einen Haushalt auf den Weg zu bringen, der ihre politischen Ziele spiegelt und voranbringt. Das alles wird die Stimmung und die Lage nicht verbessern.
Aber jetzt: Wahlkampf! Es wird es um Wirtschaftspolitik gehen. Um internationale Allianzen. Und für uns Grüne immer um Klimapolitik. Der Klimawandel wartet nicht, bis wir uns wieder besser sortiert haben.