In Tübingen zu leben ist schön. Besonders an Wahl-Sonntagen.
Es hat letzten Sonntag gut getan, zu sehen, wie viele Menschen bei der Europawahl in Tübingen wieder Grün gewählt haben – innerhalb des Stadtgebiets 32 Prozent. Kreisweit kamen wir auf Platz zwei mit 22,4 Prozent.
Fast noch mehr gefreut hat mich, wie hoch in Tübingen die Wahlbeteiligung war. Fast 77 Prozent waren es in Tübingen, also etwa zwölf Prozent mehr als im Bundesdurchschnitt. (Aber auch den finde ich mit 65 Prozent noch okay.) Das sind für mich gute Zahlen, in diesen Zeiten, in denen man sich immer wieder Sorgen macht um unsere und andere Demokratien.
Das war es dann aber fürs Erste mit der Freude. Denn was ebenso deutlich ist: Diese Europawahl ist eine klare Niederlage für Grün. Besonders herb ist der direkte Vergleich zur vorigen Europawahl. Auch wenn ich persönlich finde, dass dieser Vergleich ein bisschen hinkt. Jene Wahl 2019 war in vielerlei Hinsicht außergewöhnlich, vielleicht auch ein Ausreißer. Aktuell sind wir europaweit in etwa wieder auf dem Niveau von 2014. Das ist für mich persönlich erst mal kein Drama.
Was war 2019 denn anders? Diese Wahl, die uns Grüne einmalig so weit nach oben gebracht hat, war eine Klimaschutzwahl. Damals (aber auch nur damals) fanden offenbar viele Menschen das Thema Klimaschutz besonders wichtig. Und sie haben darauf vertraut, dass wir Grünen viel tun werden, um den Klimawandel zu bremsen. Fünf Jahre später – also auch eine Pandemie, einen Krieg in Europa und eine Energiekrise später – hat das Klima-Thema offenbar deutlich an Zugkraft verloren. Oder wir Grünen haben es nicht gut gemacht. Oder beides.
Mich lässt das im Moment noch etwas ratlos zurück. Haben wir unsere Themen schlecht gesetzt? Oder haben wir schlecht kommuniziert? Oder ist das Thema Klima wirklich in den Hintergrund getreten?
Für mich persönlich ist und bleibt der Kampf gegen den Klimawandel das wichtigste Thema dieser Zeit. Wichtiger als viele soziale Fragen, auch wenn diese ebenfalls brennen. Wichtiger als die Kriege. Wir alle können es doch sehen und spüren, direkt hier vor unseren Haustüren: Der Klimawandel ist längst da und greift in unser Leben ein. Schon jetzt.
Diese Realität ist dramatisch. Aber offenbar nehmen viele Leute es dennoch anders wahr. Wenn das Thema Klima trotz all der unübersehbaren Veränderungen vor der eigenen Nase nicht ankommt, müssen wir nochmal überlegen, wie wir drüber sprechen. Offensichtlich reden wir ein Stück weit an den Menschen vorbei.
Und ja, leider: Es gibt einen Rechtsruck in Europa. Ich hatte sogar befürchtet, dass er noch größer ausfallen könnte – bitter ist es trotzdem. Gerade für mich; ich gehöre ja zu denjenigen, denen die Abgrenzung gegen Rechts besonders wichtig ist. Was mich beruhigt: dass wir trotz des Rechtsrucks weiterhin eine solide Mehrheit von proeuropäischen, demokratischen Fraktionen im EU-Parlament haben. Das sind die Parteien, die Europa bisher getragen haben. Und von denen wir auch weiter erwarten können, dass sie aufrichtig an Europa weiterarbeiten.
Ursula von der Leyen sehe ich kritisch. Aber wenn sie die Kommission weiterhin anführt, hoffe ich sehr, dass sie ihren Kurs beibehält. Sie hat einiges in Aussicht gestellt, was dem Klimaschutz und dem technologischen Wandel gut täte. Da geht es beispielsweise um die Wende bei den Auto-Antrieben und die Frage, ob die Abkehr von fossilen Verbrenner-Motoren noch einmal rückabgewickelt wird. Das gilt es zu verhindern – in dem Fall auch sehr gern mit Unterstützung von Ursula von der Leyen.
Und auch wenn wir nicht feiern, freut mich der Blick über die Grenzen: Außerhalb Deutschlands haben die europäischen Grünen einige Erfolge zu melden. In Dänemark wurden wir stärkste Kraft. In Frankreich haben wir den Wiedereinzug geschafft. Es gibt Länder wie Kroatien, wo es jetzt erstmals grüne Abgeordnete gibt.
Die Wahlen sind vorbei. Ich würde die Analysen gern unaufgeregt voranbringen. Niemand kann jedes Mal ein noch besseres Ergebnis erzielen. Schönreden gilt genausowenig. Wir müssen den Fragen auf den Grund gehen, woran es lag. Wenn wir mehr Stimmen wollen, dürfen wir weniger Menschen enttäuschen und müssen größere Teile der Bevölkerung besser erreichen.
Das gelingt uns derzeit viel zu selten. Außer vielleicht in Tübingen, wo bekanntlich manches etwas anders ist als anderswo. Hier sind auch die Kommunalwahl-Ergebnisse positiv. Wir bleiben die stärkste Fraktion im Tübinger Gemeinderat mit 33,7 Prozent (2019: 34,6). Einen Sitz verlieren wir, künftig werden 13 von 40 Gemeinderäten Grüne sein. Wir freuen uns insgesamt sehr, dass wir in Tübingen weiterhin grüne Politik gestalten können.
Die Kreistags-Ergebnisse mit Verlusten für uns Grüne gefallen uns natürlich weniger. Ich vermute, dass es auf aktive Ablehnung stößt, wenn nun immer häufiger Flächen in der Region für erneuerbare Energien gebraucht werden. Anderswo haben wir Erfolge erlebt, vielleicht wegen genau desselben Themas und weil Grüne dort dafür einstehen: in Dettenhausen, Ofterdingen und Starzach.
Am Ende nochmal schöne Zahlen: Die Kommunalwahl hatte in Tübingen gut 71 Prozent Wahlbeteiligung. Und auch bei den Kreistagswahlen gab es bei uns im Landkreis fast 67 Prozent Wahlbeteiligung – deutlich überm Landesschnitt (61,4 Prozent). Danke.